Schwanenjungfrau

"Die Truhe dort habe ich noch niemals gesehen,

was muß sie verborgen im Winkel auch stehn?
Der Schlüssel ist alt und er steckt noch darin.
Warum nur, warum zieht's mich dort hin?
Ich hebe den Deckel, schau zaghaft hinein:
Welches Geheimnis mag verborgen dort sein?
Unten da schimmert bei Lumpen und Tand 
ein wundersames weißes Gewand."

Drei weiße Schwäne auf wiegenden Wogen:  
Zweie sind auf und davon längst geflogen,
Zweie entflohen zur Ferne ins Glück,
einer blieb einsam vergessend zurück.

"Mit zitternden Händen hol ich es hervor
und halte es bebend zum Lichte empor.
Da fasst mich ein Schauer - ich frag nicht warum -

ich werf mir das weiße Prachtgewand um.
Ich streich über Federn so licht und so rein
und jetzt erahn ichs: Das Kleid, das war mein!
Ich bin ein Wesen aus Sonne und Licht
und zu den Menschen gehöre ich nicht."

Drei weiße Schwäne auf wiegenden Wogen:
Zweie sind damals gen Norden geflogen.
Zweie! Sie flogen nach Asgard ins Glück.

Einer blieb traurig, gefangen zurück.

"Mann, arger Mann, du hast mich belogen!
Um meine Herkunft mich bitter betrogen!
Du hast mein Kleid einst geraubt und versteckt,
aber ich hab es heute wieder entdeckt.
Mich hältst Du nicht mehr mit List und Gewalt.
Ich werd erlangen nun meine Gestalt.
So wie die Wolken am Himmel dort ziehn,
werd ich auf mächtigen Schwingen entfliehn."

Drei weiße Schwäne auf wiegenden Wogen,
zweie sind längst nach hause geflogen.
Zweie. Sie flogen zur Göttin ins Licht
einer jedoch vermochte es nicht.

"Ihr schlaft in den Betten, so süß und so klein.
Wenn ihr erwachet, so seid ihr allein.
Lebt wohl meine Kleinen - es bricht mir das Herz! -
ich muß jetzt scheiden, trotz Wehmut und Schmerz.
Traurig erhebe ich nun meine Schwingen.
Sie werden mich zu den Schwestern nun bringen.

Der Bann ist gebrochen, das weiße Gewand
trägt mich nun heimwärts ins Anderland.

Drei weiße Schwäne auf wiegenden Wogen,
Dreie sind heute gemeinsam gezogen
Dreie! Nur einer noch wendet den Blick:
Ließ er doch seine Kinder zurück.

© Swantje Swanhwit, 2006