Lindenbaum-Saga
Als ich noch Kind war da war er schon alt,
der mächtige Lindenbaum draußen im Wald.
Sah hunderte Winter schon kommen und gehn,
hat Kriege und Frieden ins Land ziehen sehn.
Einst bog sich im Winde noch sein schlanker Stamm,
bald lehnten sich müde Wandersleut dran.
Zu ihm trug Volk oft die Sorgen vom Tag,
kündete ihm wenn ein braver Freund starb.
Erblickte ein kleines Kind das Licht der Welt,
wurde es auch gleich dem Baume erzählt.
Gab es Anlaß zur Freude, zu Leid,
wußte der Lindenbaum es sogleich.
Heiliger Brauch war es zu alter Zeit,
daß in seinem Schatten man schlichtete Streit.
Unter den Zweigen, da sprach das Thing Recht,
und selten nur war solch ein Baumurteil schlecht.
Wie das Schwert am Ende auch lag,¹
recht gerichtet ward jegliche Tat.
Der mächtge Lindenbaum hat manche Nacht
bei heimlicher Liebe leis rauschend gewacht.
Und wand die schöne Braut dann ihren Kranz
drehte sich um seinen Stamm froher Tanz.
Denn eine Hochzeit beim Baume versprach,
kinderreiche Ehe, die niemals zerbrach.
Singend hat Volk sich einst um ihn geschart,
so wurde manch uralte Weise bewahrt.
Und lehnend am moosgen, knorrigen Holz
besang man dort Heldenmut und Frauenstolz.
Und so manches blondlockige Kind
jauchzte, spielte im Laube der Wind.
Heute jedoch ist es draußen so still,
weil keiner mehr hin zu dem Lindenbaum will.
Heute steht einsam vergessen er da,
er der einst Freund aller Menschen hier war.
Die Krone ist müde und krank ist der Stamm,
selbst der Regen nagt noch daran.
Es kommen Männer, die Linde lebt auf:
Folgen diese etwa wieder dem alten Brauch?
Seht! Sie kommen direkt zu ihr her.
Was tragen sie auf ihrem Rücken so schwer?
Sie schwingen die Axt. Es rauschet die Kron:
Es fällt ein Jahrtausend mit ächzendem Ton.:
© Swantje Swanhwit
¹ lag die Schwertspitze in Richtung des Angeklagten,
wurde er als schuldig angesehen, wies das Heft auf ihn,
galt er als unschuldig.