Kruzifix

Bruder , du siehst nur gebannt nach dem Kreuze hin,
hier in der lichten, blühenden Flur.
Hast du denn unter dem goldenen Sonnenlicht
für den Gemarterten Augen nur?
Knie nicht vor dem gequälten Gesicht!
Bruder, ach, ich verstehe dich nicht.

 

Seh ich das Kreuz dort am Wegesrand stehen,
wachen in mir Schreckensbilder auf;
denn mit dem Kommen der Priester aus dem Süden
nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Denn das Kreuz bracht viel Demut und Not
und vielen Brüdern den Tod.

 

Ich sehe heilige Bäume rauschen fallen
gefällt manchen Haag und grünen Hain.
Sehe weiße Schwäne klagend sterben,
gestürzt manch’ Säule und heil’gen Stein.
Seh Bruder gegen den Bruder stehn,
seh’ Tausende untergehn.

 

Ich sehe Flammen nach Kinderkleidern lecken,
heilkund’ge Frauen gequält bis zum Tod.
Seh gebrochne gemarterte Glieder,
Wiesenblumen färben sich rot.
Seh freie Menschen nach Norden fliehn,
Knechte demütig knien.

 

Und sehe Mütter bitterlich weinen
um ihr kleines, kleines Kind.
Sterben mußten alle Sachsenmänner,
die kaum größer als des Franken Schwert sind.
Karl der Schlächter mit List und Trug
vergoß viel Sachsenblut.

 

Weise Stedinger wurden erschlagen,
Höfe mit Mensch und Vieh verbrannt.
Sippen hör ich um ihr Leben flehen,
seh ein verwaistes Heideland
Weiß von Frauen im Nonnenkleid
eisam, blaß, voller Leid.

 

Knaben seh ich zu Tausenden ziehen,
lassend ihr junges, reines Blut,
irgendwo im Mamelucken-Lande
unter Orients Sonnenglut.
Des edlen Nachwuchses beraubtes Land,
durch Söhne im Priestergewand.

 

Reich prunken goldgeschmückte Altäre,
derweil das Volk hat keinen Bissen Brot.
Statt frei zu sähen, statt stolz zu ernten,
treibt den Bauern der Krieg in den Tod.
Denn das einst freie Bauernland
fiel unrecht in des Adels Hand.

 

Auch weiß ich Männer hochmütig blicken
auf das and’re, das Frauengeschlecht,
denn genommen ward all den freien Frauen,
jedes ehrbare Menschenrecht.
Ich seh ein einst stolzes freies Land,
von Henkersvolk überrannt.

All dieses Sterben, die Knechtschaft, die Demut,
all die Not, das schwere Leid
brachte im Namen des Kreuzes das Christentum
bis in unsere heutige Zeit.
Seh ich dich knien vor dem Kreuze hier,
Bruder, ach, Bruder, ... mir graut vor dir!

© Swantje Swanhwit

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